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Gedenkkonzert am 6. März 2023

Gedenkkonzert: Der Cäcilienchor gedachte am 6.3.2023 seiner verfolgten Mitglieder.

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Die Subskription der „Missa solemnis“

„Die Hoffnung, von Ihnen, großer Meister, ein neues Werk zu erhalten, beseelt alle Mitglieder und beflügelt ihren musikalischen Eifer aufs neue“, schrieb Schelble am 19. Mai 1823 an Beethoven.

Ein neues Werk? Ja. Beethoven hatte seine „Missa solemnis“ zur Subskription angeboten, und zwar ausschließlich den Fürstenhäusern Europas und den Leitern zweier Gesangsinstitute, der 1791 gegründeten Berliner Singakademie und dem gerade fünf Jahre jungen Frankfurter Cäcilien-Verein. Während die Verhandlungen mit Zelter in Berlin zu keinem Ergebnis führten, nahm der Cäcilien-Verein an.

Er befand sich in bester Gesellschaft mit dem Kaiser von Rußland, den Königen von Preußen, Sachsen, Frankreich und Dänemark, den Großherzögen von Hessen-Darmstadt und der Toskana sowie den Fürsten Radziwill und Galitzin. Oder vielleicht besser umgekehrt? Die hohen Fürstlichkeiten befanden sich in bester Gesellschaft mit den musikbegeisterten Frankfurter Bürgern.

Aufgeführt freilich hat der Cäcilien-Verein das Werk zunächst bruchstückweise in großen zeitlichen Abständen, vollständig erst 30 Jahre nach Schelbles Tod. Doch unterstreicht das eher die Kühnheit, die mit dem kostspieligen Ankauf einer unbekannten Komposition verbunden war, die lange als unaufführbar galt.

Wer waren die Risikofreudigen, die 50 Golddukaten für die Musik der Zukunft zusammenbrachten? Es waren sechs der bekannten Unterzeichner der Gründungsurkunde, nämlich die Herren Passavant und Petsch sowie die Damen v. Willemer, Schmidt-Graumann, de Neufville und Passavant, aber auch Brentano und Schlosser.

Leider kennen wir von der letzteren nur den Nachnamen. Doch spricht alles dafür, daß es Sophie Schlosser geb. du Fay war, die Gattin des Stadtgerichtsrats Fritz Schlosser. Bei Schlossers hatte Goethe zweimal gewohnt, bevor er bei den Willemers Logis nahm, und Schlossers erzählten dem Dichter bei einem Besuch in Weimar „das Allerlöblichste“ „von dem musicalischen Verein, dem Vorsteher und den Theilnehmern“, also Schelble und dem Cäcilienverein. In ihrer Stadtwohnung am Liebfrauenberg lebten die Schlossers in der Nachbarschaft der chorfreudigen Familie Passavant. Als sie 1825 das Stift Neuburg am Neckar hinzuerwarben, verwandelten sie es in eine Art Musenhof, in dem sich die schöpferischen Kräfte der Freien Reichsstadt versammelten, Anregungund Förderung empfingen. Es ist durchaus vorstelbar, daß Sophie, die Mäzenin des Frankfurter Malers Edward von Steinle, auch für die Unterstützung des „Projekts Missa solemnis“ gewonnen werden konnte. Handelte es sich doch um ein sakrales Werk aus Wien, der Stadt, die für die Schlossers eine zentrale Bedeutung besaß: Dort hatten sie ihren Übertritt zum katholischen Glauben vollzogen. Und nicht zuletzt war Sophie Schlosser eine enge Freundin sowohl von Marianne von Willemer als auch von Antonia Brentano-Birkenstock.

Antonia - „eine durch Geist, Bildung und Karackter hervorragende Frau, auch im Aeußern eine ungewöhnliche, eindrucksvolle Erscheinung“ (soweit die Beschreibung durch einen Unbekannten unter einem ihrer Portraits im Frankfurter Historischen Museum) – war als „die Frau Schöff“ stadtbekannt. Ihr Gatte Franz, der Vorstand des Frankfurter Hauses der vielköpfigen Kaufmannsfamilie Brentano, mußte nämlich als Senator „den ganzen Morgen auf dem Römer arbeiten“. Neben den Besitzungen im Rheingau bewohnte man ein stattliches neues Haus mit reicher Gemäldesammlung in der Neuen Mainzer Gasse. Und wieder taucht der Name des Dichters Clemens Brentano in der Historie des Cäcilien-Vereins auf: Ihm, dem Schwager Antonias, verdankte Schelble die Empfehlung an das Frankfurter Stadttheater.

Antonia selbst, eine gebürtige Wienerin, war d i e Vermittlerin zwischen dem musikalischen Frankfurt und Beethoven par excellence. Eine innige Freundschaft verband den Meister mit ihr und ihrem Mann aus deren Wiener Jahren. Als das Paar nach Frankfurt übersiedelte, schenkte er ihr trauernd sein Bild mit Widmung. Auch die Variationen eines Walzers von Diabelli (opus 120) hatte er ihr gewidmet und der Tochter Maximiliane die Klaviersonate in E-Dur, opus 109.

Persönliche Kunde über den Komponisten war auch über Clemens' Schwester Bettina an den Main gedrungen. Dort war seit Spohrs Wirken als Musikdirektor der Boden für Beethoven bereitet.

Schließlich gab es noch einen dritten „heißen Draht“ zwischen Frankfurt und Beethoven. Wir erinnern uns, daß die von dem Komponisten als „Dorothea Cäcilia“ verehrte Pianistin Dorothea v. Ertmann in Wien die Schwester von Charlotte Schmidt-Graumann war, der Mitunterzeichnerin der „Magna Charta“ und Subskribentin der „Missa“.

Somit rundet sich das Bild einer vielfältig in sich verflochtenen, kulturell und gesellschaftlich homogenen und hochmotivierten Generation der Gründungszeit des Cäcilien-Vereins. Dabei bleibt die Subskription der „Missa solemnis“ ein in seiner Art einmaliger Vorgang in der Musikgeschichte.

Schelble und seine begeisterungsfähigen Freunde konnten niemals das spukhafte Presto im letzten Satz des Werks hören, nie das aberwitzig-mörderische Hämmern der Pauken, Trompeten und Posaunen, nie die verzweifelten Aufschreie „Agnus, Dei“ und „Dona pacem“. Sie wären wohl erschauert, wenn sie erfahren hätten, in welcher Weise ihr Vorgriff auf das musikalische Erleben des 20. Jahrunderts nachtwandlerisch sicher war: „Atombombe – Weltende!“ So interpretierte Georg Solti die Stelle 1954 in der Probe mit dem Cäcilien-Verein.

Eva Zander, 1993